28.10.2012

Europa-FlaggeVerabschiedung der EU-Tabakprodukt-Richtlinie gefährdet

Die EU-Kommission hatte angekündigt, ihren Entwurf für eine verschärfte Tabakprodukt-Richtlinie Ende dieses Jahres dem EU-Parlament und dem Rat zur Beschlussfassung vorzulegen. Dazu wird es möglicherweise aufgrund des plötzlichen Rücktritts des für die Richtlinie zuständigen EU-Kommissars John Dalli nicht kommen. Sollte der Richtlinien-Entwurf für längere Zeit „auf Eis liegen“ und nicht vor dem Ende der Legislaturperiode der EU im Juni 2014 zum Abschluss kommen, wäre er hinfällig. Ein erneuter Anlauf zur Revision der Richtlinie würde sich über Jahre hinziehen.

Am 16. Oktober 2012 ist John Dalli, der Kommissar für Verbraucherschutz und Gesundheit, ein Malteser, von seinem Amt zurückgetreten. Die Umstände seines Rücktritts sind mysteriös. Fest steht, dass

  1. Dalli die Verschärfungen der Tabakprodukt-Richtlinie befürwortet und gefördert hat.

  2. die Tabakindustrie diese Verschärfungen vehement ablehnt.

  3. die Tabakindustrie (Swedish Match) 2011 versucht hat, über Silvio Zammit, einen prominenten Malteser Geschäftsmann und stellvertretenden Bürgermeister des Badeortes Sliema (15.000), Einfluss auf Dalli zu nehmen.

  4. die Tabakfirma Zammit eine Vergütung angeboten hat, wenn er ein Treffen zwischen Vertretern der Firma und Dalli vermittelt. (E-Mail zwischen Zammit und Swedish Match, Quelle: MaltaToday, 16. October 2012)

  5. Dalli höchstwahrscheinlich Herrn Zammit persönlich kennt (allein in Anbetracht der Tatsache, dass Malta nur 400.000 Einwohner besitzt und Zammit mit Dalli der gleichen politischen Partei angehören).

  6. Swedish Match der EU-Kommission 2011 gemeldet hat, dass Zammit für die Einflussnahme auf Dalli eine hohe Gegenleistung gefordert habe (angeblich 60 Millionen Euro, von denen angeblich 10 Millionen an Dalli gehen sollten).

  7. die EU-Antibetrugsbehörde OLAF auf Wunsch der Kommission der Sache nachgegangen ist und dem EU-Präsidenten Josè Manuel Barroso einen Abschlussbericht übermittelt hat.

  8. Barroso am 16. Oktober 2012 Dalli mündlich zum Rücktritt aufgefordert hat.

  9. Dalli seinen Rücktritt erklärt hat, - wie er sagte erklären „musste“ entsprechend den Regularien der Kommission.

  10. Zammit am 16. Oktober von seinem Bürgermeisteramt zurückgetreten ist.

  11. der Chef des OLAF-Kontrollausschusses im Zusammenhang mit der Dalli-Affäre zurückgetreten ist.

  12. am 18. Oktober in das Büro von drei Organisationen, die sich in Brüssel für die Novellierung der Tabakproduktrichtlinie einsetzen, eingebrochen wurde. Nach Angaben der Betroffen wurden nur die Datenträger von Mitarbeitern gestohlen, die mit dem Konflikt um die Tabakproduktrichtlinie zu tun haben.

Die Gründe für Dallis Rücktritt sind bisher nicht eindeutig genannt worden. Nach Aussagen der Kommission haben OLAFs Ermittlungen keinen überzeugenden Beweis für eine direkte Beteiligung Dallis an dem Bestechungsversuch ergeben. Nach OLAFs Erkenntnissen sind keine Geldmittel geflossen. Die Antibetrugsbehörde geht aber davon aus, dass Dalli über die damaligen Vorgänge informiert war. Sein Vergehen scheint also darin zu bestehen, dass er den ihm anscheinend bekannten Bestechungsversuch nicht vorschriftsgemäß der Kommission gemeldet hat.

Aus Sicht der Gesundheitsverbände besteht die Hauptgefahr der mysteriösen Vorgänge darin, dass die Novellierung der Tabakprodukt-Richtlinie verzögert wird. Barroso hat vor der Einsetzung eines neuen Kommissars, der von Malta benannt wird, zwischenzeitlich seinen slowakischen Vizepräsident Maros Sefcovic zum Leiter des Gesundheitskommissariats bestellt. Als Nachfolger von Dalli wurde von der Regierung Maltas der Außenminister Dr. Tonio Borg (55), ein Verfassungsrechtler, benannt. Wann dieser sein Amt antreten wird und wie schnell er sich mit der Tabakprodukt-Richtlinie vertraut machen kann, ist nicht abzusehen. Sollte der bisherige Zeitplan für die Novellierung der Richtlinie nicht eingehalten werden, könnte das Verfahren mit dem Ende der Legislaturperiode 2014 zum Abbruch kommen. Nutznießer wäre die Tabakindustrie, Verlierer wären die Bürger der EU.